28 Juni 2012

Squadra invincibila

AUUUUSS AUUUSSS AUUUSSSSS es ist AUUUUSSSSSS !

Das liest sich so im unbeschreiblichen Blog der 11Freunde (Auszug):

20:03 Uhr
Bild.de kürzt Hummels in der Aufstellung als »Humme« und Khedira mit »Khedi« ab. Klingt freundschaftlich. Find ich toll. Ihr dürft mich »Giese« nennen. Gern auch »alte Säge«.23:23 Uhr

20:10 Uhr
TOOOOOR!!! TOOOOOOOOR FÜR DEUTSCHLAND!!!! TOOOOOR ÖZIL!!! Ach, wenn es doch nur schon so weit wäre. Es ist aber nur: Kollege Gieselmann beim Gute-Nacht-Telefonat mit seinem Sohn (1). Schöne Träume.

20:11 Uhr
Dicke Frauen im Bundestag. Müssen diese Bilder jetzt wirklich sein? Im italienischen Fernsehen werden derweil Gladiatoren gezeigt, die mit bloßen Händen Krokodile erwürgen. Jetzt kriege ich doch Angst. Vor dicken Frauen im Bundestag.

20:12 Uhr
Poldi SPIELT. Hab ich's nicht gesagt? Hab ich's nicht gesagt? Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski!

20:14 Uhr
Azurblauer Himmel morgen über Deutschland. 33 Grad, Rimini-Wetter in Recklinghausen. Und die Tagesthemen moderiert Ingo Zamperoni. Mir wird irgendwie komisch zumute. Angst? Noch nicht.

20:15 Uhr
Die Tagesschau läuft. Ich bin viel zu aufgeregt, um genau hinzuhören, bekomme aber gleich zweimal die Phrase mit: Augen zu und durch! Hm. Ob wir das unterschreiben sollten? Jetzt nicht in Bezug aufs Betreuungsgeld, sondern auf einen deutschen Sieg? Einfach durch irgendwie? Notfalls auch rumpelig? Ich habe ja tatsächlich die Hoffnung auf ein schönes, ein berauschendes, von mir aus sogar ein sensationelles Fußballspiel, auch wenn mir Kloppo Sensationen eigentlich grundsätzlich madig gemacht hat. Andererseits beginnt dieses Spiel mit Reinhold Beckmann, kann also gar nicht mehr sooooo super werden. Ach, was soll’s? Augen zu und durch!

20:18 Uhr
Offenbar spielt Pocahontas, jedenfalls macht sich eine kleine Indianerin mit Stirnband und sibyllinischem Blick dort unten warm. Aus der gegnerischen Hälfte linst ein alter Häuptling lüstern zu ihr herüber, »Chippender Fuß« mit Namen, will sie in sein Wigwam zerren. Stamm gegen Stamm. Das Kriegsball ist ausgegraben. Wer gewinnetout?

20:23 Uhr
»Der Bundestrainer denkt weiter als ich«, kapituliert Mehmet Scholl. Durchaus sympathisch, dass er das so zugeben mag. Aber es entzieht der ganzen Veranstaltung die Grundlage. Scholl und Beckmann: Zwei Druiden, die im Asterix-Themenpark in Hühnerknochen aus Plastik lesen. Und sich gleich die Kostüme ausziehen und in ihren Sharans nach Hause fahren. Entzaubernd.

20:29 Uhr
Man müsste mal bilanzieren, wie es den Spielern so ergangen ist, die das Schicksal ereilt hat, von Sven Kaulbarß porträtiert zu werden. Jetzt der arme Khedira, für den die EM damit gelaufen sein dürfte. Softporno-Stimme, DB-Magazin-Poesie, Chillout-Musik: Das muss ihnen doch schaden. Die Voodoo-Puppe unter den Einspielern.

20:30 Uhr
Löw. Seltsam rot. Hat er sich verjoggt und sich das Nivea-Face angebrannt? Gespenstisch. Dann sagt er: »In dieser Kotze-Phase trinken die Spieler was.« Nachdurst? Jetzt? Ich brech' zusammen.

20:35 Uhr
Es wird kribbeliger. »Schluss jetzt mit dem Gequatsche«, kokettiert Mehmet Scholl. Und normalerweise würden wir ihm ja auch recht geben. Aber heute: Wenn er aufhört zu quatschen, fängt Steffen Simon an. Ehrlich wahr, liebe Fans. Sowas machen die, mit euren Gebühren. Und wer protestiert dagegen? Ich!!! Und wer hört mich? Hallo? Haalllloooooo?

20:36 Uhr
Wenn ich das richtig gesehen habe, ist hier vorm Haus gerade ein Mann mit Federballschlägern auf dem Gepäckträger vorbei geradelt. Irgendwie frei. Irgendwie aber auch affig. Ich stehe vor einem Rätsel: Wie kann jemand so sympathisch und zugleich so unsympathisch sein? Das heißt im Umkehrschluss, dass ich der Mann, der ich bin und der hier gerade für Deutschland fiebert, nicht sein will. Identitätskrise! Das jetzt. JETZT habe ich Angst. German Angst.

20:40 Uhr
Die Hymnen. Kurzes Vorspiel, dann, zack, 1:0 für Italien. Sorry, liebe Fans, aber ist so. Eigentlich sogar 2:0, wegen der Hingabe Luigi Buffons, die Augen geschlossen und einen Mund, der aussieht, als würde er gerade noch mal all die Leibspeisen nachschmecken, die niemand so gut kocht wie seine Mama. 3:0, verdammt.

20:41 Uhr
BRÜHT IM LICHTE DIESES GLÜCKES! JETZT!

20:44 Uhr
Philipp Lahm trägt noch schnell ein selbstgeschriebenes Gedicht aus seinem demnächst erscheinenden Lyrikband (»Der feinste Unterschied«) vor, dann geht es los.

20:45 Uhr
WIR HABEN DIE SEITENWAHL GEWONNEN! DER ERSTE SIEG GEGEN ITALIEN BEI EINEM GROSSEN TURNIER! JAAAAAAAAA! FIPSI, DU BIST EIN MÜNZWURFGOTT!

1.
ANSTOSS! MEINE UMSCHALTTASTE KLEMMT! ABER DAS ENTSPRICHT MEINEM KÖRPERLICHEN UND EMOTIONALEN ZUSTAND! ICH BITTE UM VERSTÄNDNIS!

3.
Erster Schockmoment: Für einen klitzekleinen Augenblick dachte ich, statt Holger Badstuber spiele heute Oliver Pocher in der deutschen Innenverteidigung. Warum müssen die auch alle zum gleichen Friseur rennen?

4.
Brenzlig. Ein hassenswertes Adjektiv, zumal wenn es einen selbst betrifft. Stinkt nach im Aschenbecher vergessener Kippe. Stinkt nach Chance für Italien. Doch Hummels löscht. Wenn ich groß bin, will ich auch Feuerwehrmann werden.

5.
Özil mit Chipball auf, ja auf wen, auf Podolski wohl, eventuell auch auf eine tieffliegende Schwalbe, die ich nicht sehen konnte. Andrea Pirlo jedenfalls dreht sich verächtlich ab.

6.
JAAAAAA! EIN TOR! FAST! Gestocher! Als wäre der italienische Strafraum Ottfried Fischers Mund nach der Brotzeit! Der Ball trudelt in Richtung Kasten, Stunden des Hoffens – dann Pirlo AUF DER LINIE! Der namenlose Torrichter schlottert, zuckt, bricht zusammen, Pirlo klärt, ich schlottere, zucke, breche zusammen. Zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

7.
Mann bin ich aufgeregt. Auch bzw. au deswegen, weil ich ja genau davor Schiss hatte: dass der Ball Buffon zwar durch die Beine fliegt, er ihn aber trotzdem mit völliger Gelassenheit noch abfängt und nicht halb so aufgeregt ist wie ich. Dafür bin ich aus genau diesem Grund nicht ein Zehntel so anfällig für Spielsucht.

8.
Kroos bewacht also Pirlo. Das ist edel. Gefällt mir enorm, dass wir einen unserer Besten für diese niedere Arbeit abstellen. Als würde Peter Handke unsere Einträge hier gegenlesen. Mach mal 'n Kaffee, Peter.

10.
Was hat dieses Spiel mit gewissen Erwachsenenfilmen gemeinsam? Das ist mir hinten alles zu offen.

12.
Da, da, da! Genau das gleich, es ist wie in meinen Alpträumen, die ich heute den ganzen Tag hatte. Khedria joggt durch die italienischen Reihen als wäre er eben das, ein Jogger, bleibt deswegen unbehelligt, passt auf Boateng, der senst ihn rein, keiner kommt ran, aber Buffon lässt den Ball wieder los, lässt ihn zu einem Italiener prallen, und von dort kullert er Zentimeter am Pfosten dabei. Es ist das pure italienische Glück, dass es hier noch 0:0 steht und gleichzeitig so absolut typisch.

13.
Wer ist Pirlo? Kroos! Ganz kroos bzw. groß: Karl-Allgöwer-Gedächtnishammer, Buffons Maniküre war für die Katz. Lässt der schönste letzte Mann der Welt sich jetzt resigniert auswechseln?

16.
Bonuskarte im Kommentatoren-Bingo: »Prandelli ist so etwas wie der Jogi Löw Italiens.«

17.
Ich fühle mich gut, sehr gut, ja: Ich habe gerade überhaupt keine Angst mehr. Doch dann sagt Simon: »Es lässt sich gut an, was das junge deutsche Team hier veranstaltet.« Ein Satz wie im Pfadfinderlager am Steinhuder Meer. Kleinkariert, strebsam, demütig – und also doch wieder eine Angst verratend, auf die ich ÜBERHAUPT KEINEN BOCK HABE, STEFFEN! STEFFEN! WIE DER SCHON HEISST! FÄHNLEIN FIESELSTEFFEN! Ach, komm. Geh Holz sammeln.

18.
Erste Chance für Italien, Neuer hält, Gott sei Dank, denn geschossen hatte Montolivo, der mit der deutschen Mutter. Und was ich zusätzlich zu einem italienischen Tor am wenigsten brauchen könnte, wäre eine Lawine von »ausgrechnet«, die über die deutsche Medienlandschaft hereinbricht.

19.
Und noch so'n Weitschuss der Italiener. »Die Weitschüsse sind nicht ohne«, so Simon. Dabei hatte ich doch deutlich gesagt: EINMAL WEITSCHUSS OHNE ALLES, BITTE! Verdammt.

19.
Wir müssen jetzt ganz stark sein. 1:0. Nicht für uns. Cassano flankt, Badstuber macht nichts falsch und doch irgendwie alles, Balotelli steigt hoch, köpft, Neuer macht das X, vergeblich. Ein Satz mit X: Wir müssen jetzt auferstehen wie Phönix.

22.
Jetzt bräuchte es jemanden wie früher in der Kreisligamannschaft, der erst mal auf den Ball tritt und »Ruuuuuuuuuhig« sagt. In einem Ton, als wäre seine Mitspieler Pferde. Und sie senken die Köpfe und tun, was er sagt. Das Spiel beruhigt sich. 1:0? Was ist das schon? Aber es gibt diesen Mann nicht im deutschen Spiel, jedenfalls nicht jetzt. Also sagt Simon: »Es ist noch früh.« Und zum ersten Mal mag ich ihn irgendwie. So weit ist es gekommen.

25.
Boateng. Ideenlos nach vorn. Aber Ideen sind überschätzt, wie ich immer schon geahnt habe, und tatsächlich kommt der geile Zufall ins Spiel, ein Italiener strauchelt, Gomez brustet den Ball rüber zu Özil, der schießt, doch so schlaff, dass Buffon sich hinlegen kann wie eine Greisin des Nachts, die auf dem Nachttisch nach dem Glas für ihre Dritten fingert. Zahnlos.

28.
Uncool: Gomez, der einen Einwurf beinahe direkt einem Italiener in den Lauf köpft und sich damit genau so verhält, wie ich mich fühle.

28.
Und bei euch so?

30.
Von Toni Kroos heißt es ja immer, er habe eine »super Schusstechnik«, einen »echten Hammer«, »eine Waffe« etc. pp. Aber mal ganz ehrlich: Könnte er diese Waffe nicht endlich mal mit scharfer Munition austatten und sie auch mal einsetzen? Jetzt zum Beispiel? Wäre ein guter Zeitpunkt!

31.
Khedira jetzt mit dem Powersprint nach vorn. Sieht aber aus wie einer, der durch eine Italo-Disco rennen will, überall tanzende, flippende, irgendwie aufdringliche Typen. Ausgehen ist auch nicht mehr das, was es mal war. Ich krieg irgendwie Bock auf 'nen Videoabend.

33.
Chance! Ecke! Ja! Und was noch viel wichtiger ist: Poldi drückt Balotelli auf den Rasen, recht so, Poldi. Das hier muss ein Krieg werden. Zwei, drei, viele Poldis!

35.
Okay, okay, ich habe mir ein super Spiel gewünscht, aber vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt: Ich wünsche mir kein super Spiel für neutrale Zuschauer, die sich dran begeistern können, dass es hier hin und her geht, wie jetzt gerade, sondern ein super deutsches Spiel, in dem es nur Richtung Buffon geht.

36.
2:0. Mehr dazu morgen in der Fachpresse.

36.
Es hilft ja nichts, dann »wollen« wir mal, verdammte Chronistenpflicht. Irgendein – natürlich – gelöffelter Pass, vermutlich von Montolivo, Lahm müsste einen Meter größer sein, ungefähr 1,80, um mit dem Kopf noch dran zu kommen, keine Chance, Balotelli hat drei Jahre Zeit, sich den Ball zurechtzulegen, mit ihm zu sprechen, ihm zu erklären, was er gleich mit ihm vorhat, nämlich ihn GNADENLOS in die Maschen zu hämmern. Neuer sieht einen weißen Kondensstreifen am Himmel über Warschau. Der sich nun verdunkelt. Kann auch sein, dass es mein Gemüt ist. Wann wird's mal wieder richtig Sommer? Scheißfrage, jetzt, im Herbst, wenn die Hoffnungen mit verneinender Gebärde fallen.

38.
Ein weiterer Grund, warum es das jetzt aber gewesen sein sollte mit italienischen Angriffen: Bei jeder Chance gibt meine Frau Geräusche von sich, die ich zuletzt im Kreißsaal von ihr gehört habe. Also Jungs: PRESSEN!!!

41.
Kriegen wir hier eigentlich 0:5 einen auf die Eier? Nein. Denn wir haben offenbar keine.

44.
Es sieht überhaupt nicht danach aus momentan, sogar eher nach dem Gegenteil, aber wenn wir das hier noch drehen, dann werden wir alles, ABER WIRKLICH ALLES AUSNAHMSLOS GROSS SCHREIBEN. UND ES WIRD NICHTS AUSMACHEN, DENN HEUTE IST, WIE UNS EIN LESER AUFKLÄRT: INTERNATIONALER CAPSLOCK DAY! Stimmt wirklich. Bzw. STIMMT WIRKLICH!!!

45.
Simon jetzt mit der Grabrede. Erinnert an längst vergangen Chancen wie an jugendlichen Sturm und Drang, der 90 Jahre zurückliegt. »O Valerio, und ich bin so alt, und die Welt ist so jung!« (Frei nach Büchner)

47.
Geteilte Zeit ist halbe Zeit. Aber was ist mit dem Leid? Jetzt kommen mir die Vize-Titel der Bayern auf einmal vor wie ein schier unerreichbares Glück. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie ausgelacht habe, Herr Hoeneß.

21:40 Uhr
»FUSSBALL-GOTT, MACH’ IRGENDWAS«, betet die »BILD«, die den Capslock Day wahrscheinlich erfunden hat. Könnte nur leider sein, dass der Fußballgott mit der Arbeit schon fertig ist.

21:41 Uhr
Jetzt grinst der Zamperoni schon wie ein Europameister, dieser verdammte Aushilfsitaliener. Sitzt wahrscheinlich schon auf der Vespa und brettert nach den »Tagesthemen« mit meiner Frau über den Brenner. Sie trägt einen Rock, den ich noch nie an ihr gesehen habe. Und ich fahre nach Amrum, setze mich in den Strandkorb und quäle Seesterne.

21:44 Uhr
Zwei Schland-Fans, er viel zu dick, sie viel zu dumm, gehen nach Hause und gucken lieber »Buffy« auf DVD. Ich beneide sie.

21:45 Uhr
Es kommen wohl Klose und Reus zur zweiten Halbzeit, was einleuchtend, sogar wünschenswert wäre, damit zumindest irgendwas passiert. Unklar bleibt jedoch, ob sie tatsächlich kommen, oder ob Beckmann das nur aus der »Körpersprache des Bundestrainers« ableitet, wie er selbst sagt, oder ob es wirklich stimmt. Was waren das für Zeiten, als die ARD immer mit in der Kabine saß. Und Reinhold Beckmann bei »ran«. Und wir hatten zuhause kein Kabelfernsehen. Und Deutschland, verdammt noch mal, war Weltmeister.

21:48 Uhr
Löw müsste zurücktreten, aber das geht jetzt leider nicht. Seine vielleicht letzte Amtshandlung: Reus für Podolski, Klose für Gomez. Und wer für mich? Irgendwelche Freiwillige? Hallo?

46.
Anstoß. Herzlich willkommen im Zeitalter der falschen Hoffnungen.

47.
Kroos jetzt anscheinend über links, für Podolski, und Reus auf rechts, im Halbfeld, im Strafraum, mit Körpertäuschung, dem Schuss und damit, auch wenn Buffon hält, einem kleinen Funken Hoffnung.

49.
ich schreib jetzt bis auf weiteres alles klein. passt ja: chäncechen für lahmi. schüsslein. und simönchen kommentiert das hier auch noch alles durch den niedlichkeitsfilter. es ist demütigend. als würde der underdog einem riesen am bein rumzuppeln mit seinen kleinen milchzähnen, die keinen knochen knacken können. miau.

51.
Irgendwelche »Bravo Sport«-Leser singen jetzt »Superdeutschland olé!«. Ich bestell mir jetzt 'ne Pizza Depressioni. Noch irgendwer?

53.
Die größte Scheiße: Alle – ALLE! – Sätze, die nach diesem Spiel gesagt werden, fangen mit »Im Endeffekt« an. »Im Endeffekt waren die Italiener die stärkere Mannschaft«, »Im Endeffekt ist das Halbfinale ein Riesenerfolg«, »Im Endeffekt haben die Jungs die Zukunft noch vor sich«. Was im Endeffekt in der Natur der Zukunft liegt. Ich hoffe auf meinen baldigen Endeffekt.

55.
Geht noch was? Oder tun die Italiener nur so, als ginge noch was, um uns dann noch mal auszukontern? Hatte Khedira also eben eine Chance, als er im Strafraum alles umdribbelte? Oder war das alles nur Kalkül, weil die Italiener genau wussten, dass er eben auch wieder aus dem Strafraum rausdribbeln würde, weil alles von italienischen Beinen verstellt war? Ich fürchte Letzeres.

56.
Cassano geht vom Feld. Grinst wie ein Taschendieb im Vatikan. Und ich gönne ihm sogar seine Beute. Scheiß EM-Touristen.

57.
Super Deutschland Oléeee! Super Deutschland Oléeee! Klose köpft 22 Meter vorbei, aber: Super Deutschland Oléeee! Super Deutschland Oléeee!

60.
Was bei Simons wackeren Suggestionsversuchen ja leicht in Vergessenheit gerät: Italien ist näher am 3:0 als wir am 2:1. Und ich bin näher an Erich Ribbeck als an Joachim Löw.

62.
Foul an Kroos, Super Freistoß-Position, aber: keine Freistoß-Schützen mehr (wir berichteten mehrfach). Deshalb schießt jetzt Reus, und er schießt nicht schlecht, aber was bringt das schon, er schießt ja auch nicht rein. Und im ARD-Studio sitzt Mehmet Scholl, und wenn er Anstand hat, dann weint er jetzt.

64.
Simon fängt an, seine Karteikarten vorzulesen. In einem EM-Halbfinale. Wenn meine Hoffnungen weiter so vor sich hin siechen müssen, ziehe ich ihnen gleich eine Brechstange über den Kopf.

66.
Liebe Fans, tapfer sein, das wird nichts mehr, nicht gegen Italien. Was ich trotzdem mag: Saltimbocca alla romana, Penne al ragu, pollo alla diavolo, die toskanische Küste, Ossobucco alla milanese, Spaghetti alla Puttanesca, Marchisio, der das 3:0 nicht macht, sondern Zentimeter am Tor vorbeischießt.

68.
Die deutsche Mannschaft brauche jetzt »ein kleines Wunder« und »öfter mal ein bisschen Glück«, meint Simon. Phrasen wie im Musikantenstadl. Ich sag euch mal was, liebe Deutsche: Das Brückerl, das über euer Bacherl geht, es brennt lichterloh.

70.
Wenn ich Müller wäre, würde ich mich jetzt endgültig von Löw scheiden lassen. Der soll es jetzt richten, er, der Raumdeuter, wo es doch längst keine Räume mehr gibt, zumindest nicht in der italienischen Hälfte, die Weiten in der deutschen bewacht nun für Sie: Ihr Libero Bastian Schweinsteiger.

72.
Jetzt patzt auch noch Neuer, verzettelt sich im Dribbling irgendwo in der Fußgängerzone von Warschau. Und die vier Turnier-Siege bislang verblassen langsam, aber sicher wie ein feuchter Traum, wenn der Wecker schrillt.

74.
Richtig witzig würde es ja, wenn das tatsächlich noch in die Verlängerung ginge und Deutschland mit dieser Fatalisten-Aufstellung weitermachen müsste.

76.
Italien drückt. Aufs Tor. Aufs Gemüt.

76.
Seelenschmerzverzerrte Gesichter nun. Hummels schaut drein wie soeben von der Freundin verlassen. Klose wie seine eigene Ur-Oma. Schweinsteiger genauso, wie er heißt. Özil wie immer. Weiß er überhaupt, wie es steht?

78.
Simon jetzt mit dem Paradoxon des Abends: Er will »die Hoffnung nicht aufgeben« und verweist darauf, dass es auf »jeden Fall noch weitergeht. Mit Waldis EM-Club«. DAS IST DOCH DIE RIESENSCHEISSE, MANN!

80.
Kroos. Ballert bis dorthinaus. Und Löw ist an den Lippen abzulesen: »Ach, Toni, des kannsch du doch!« Das klingt nicht nur nach Schwarzwald, das ist der Schwarzwald. Ganz finster.

81.
Erstaunlich: Dass die Italiener auf der rechten Angriffsseite permanent ausrutschen. Noch erstaunlicher: Dass Gegenspieler Philipp Lahm trotzdem nicht an den Ball kommt.

82.
Wenn sie die Italiener schon nicht besiegen können, laden sie sie wenigstens zu einem Tag der offenen Tür ein. Deutsche Ingenieurskunst. Und fasziniert besichtigt di Natale die größten Löcher der Welt.

84.
Scheint jetzt nur noch ein Test für den Linienrichter zu sein. Abseits oder nicht? Oder doch? Simon wacht streng über die Leistung des Fahnenmanns, trägt seine Prüfungsergebnisse vor wie der Vorsitzende eines Kaninchenzüchtervereins. Und irgendwo auf dieser Welt platzt der Kopf von Matthias Sammer.

85.
Der Moment, in dem selbst der frühere Ministrant Steffen Simon einsehen muss, dass das hier nichts mehr wird, nähert sich unaufhaltsam. Und dann Gnade uns Gott vor dem Abgesang, der folgen wird.

87.
Der Moment ist jetzt da. Und wird vermutlich bis gegen 23 Uhr dauern, also 28 Minuten. Ruft bitte nicht mehr an, ich kann nichts mehr hören. Ich gieß mir Wachs in die blutenden Ohren. Hmmm, Wachs!

88.
Löw ist längst nicht mehr Löw. Die ARD hat ihn durch Iris Berben ersetzt. Im Drehbuch steht: wütend aufspringen. Virtuos gespielt. Der Bambi winkt.

89.
Man soll ja nicht alles schlecht reden, und sicherlich werden wir dafür gegeißelt, dass wir es tun, weil wir nicht anders können. Aber: Wäre die deutsche Nationalmannschaft eine Band, sie sollte sich auflösen.

90.
Und dann, nur damit Simon noch ein »es soll einfach nicht sein« loswerden kann, fällt Hummels plötzlich im Strafraum der Ball vor die Füße, aber er schafft es nicht, ihn aus drei Metern im Tor unterzubringen. Er schafft es einfach nicht. einfach nicht. nicht.

91.
Was ist das jetzt für eine unnötige Hänselei des Schicksals? Elfmeter! Für Deutschland! Nach einem Handspiel. Özil schießt. Drin. Mein Puls rast. Und das, obwohl ich längst tot bin. Ein medizinisches Wunder.

93.
Ich sterbe gleich. Und ich verspreche euch: Wenn sie den Ausgleich noch machen, werde ich umgehend den kompletten Ticker löschen und sagen, dass ich immer dran geglaubt habe.

94.
»Neuer ist jetzt der zwölfte Feldspieler«, zählt Simon. Und der Schiedsrichter lässt acht Tage nachspielen.

95.
Aus, aus, der Traum ist aus. Der so genannte.

22:24 Uhr
Adriano Celentano knarzt aus den Boxen. Cassano trägt ein konsterniertes Baby über den Platz. Gomez und Götze sitzen auf der Bank und haben sich nichts zu sagen. Löw versenkt seine Gefühle mit den Händen in der Tasche. Özil liegt auf dem Platz und weiß nicht, ob er sein Stirnband anbehalten soll. »Dann sehen wir uns eben in zwei Jahre wieder«, sagt Simon. Muss nicht sein.

22:46 Uhr
Simon sagt jetzt noch mal, Neuer sei zum Schluss »der zwölfte Feldspieler« gewesen. Scheint was dran zu sein. War das hier etwa gar kein Fußball? Das würde einiges erklären.

22:48 Uhr
»Es geht ja weiter«, so Simon mit dem Trostversuch, der als schlechtester in die Geschichte der Menschheit eingehen wird. »Bei uns mit Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl.« Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Scheißdreck her.

22:50 Uhr
Das hat jetzt allerdings Stil. Scholl stellt Satzfetzen in den Raum , macht immer wieder Pausen. »Woran... liegt es... ... ... dass... ...wir... ... keine... Titel... gewinnen können.« Das ist großes Beckett-Theater! Und weiter geht's im Text:
Beckmann: »Wir finden doch immer einen Weg, um uns einzureden, das wir existieren, nicht wahr, Scholli?«
Scholl: »Ja, ja. Wir sind Zauberer.«

22:53 Uhr
Philipp Lahm jetzt im Interview. Es wäre mir lieber, er würde kein Interview geben. Weil ich jetzt einfach keine Phrasen hören will. Aber er glaubt ja, dass er vorangehen muss, Stellung beziehen, vor allem, »wenn ich merke, dass etwas falsch läuft«. In diesem Sinne: »Jede Niederlage ist bitter«. Danke, Capitinho.

22:55 Uhr
Wir befinden uns offenbar mitten in der Vorbereitung für die WM 2014. Oder 2018. Perspektiven. Entwicklungspotenziale. Nachwuchs. Toll, wer da aufrückt. Und ich freu mich schon tierisch auf das Qualifikationsspiel im November. Permafrost in Minsk. Operation Titel. Wer Handschuhe anzieht, ist kein Mann.

22:57 Uhr
Der Bundestrainer beantwortet die schneidende Frage von Opdendingsbums: »Warum?« Offenes Hemd, offene Worte. »Von daher«, setzt er an. »Von daher.« Dann die Zeitlupe. Löw singt: »Die Flanke darf nicht kommen.« – »In dieser Phase war das sicherlich nicht gut.« – »Klar.« – »Von daher: Klar!« – »Dann wird's schwer.« Er spricht flüssig. Erstaunlich flüssig für einen Mann in seiner Situation. Beschwichtigend, deeskalierend. Verblüffend geringe Enttäuschung. Er scheint wirklich nur in der Zukunft zu existieren, in der Hoffnung, jener Erinnerung an die Zukunft. Im Potenzial. Was die Frage aufwirft: Hätte er sich über den Titel überhaupt gefreut?

23:04 Uhr
Löw abschließend: »In der Kabine fließen absolut die Tränen.« Wenn professionell geweint wird, bleibt kein Auge trocken. Absolut nicht.

23:05 Uhr
Cesare Prandelli im Interview. Er ist so etwas wie der »Jogi Löw von Italien« (wir berichteten). Genauso wie Vicente del Bosque der Jogi Löw von Spanien ist. Und Giovanni Trapattoni der Jogi Löw Irlands. Ach nee, Trapattoni ist der Otto Rehhagel Irlands. Dieser Prandelli jedenfalls beklagt sogar noch einige vergebene »Ballchancen«, was auch für den Dolmetscher gilt. Ansonsten ist er einfach nur ein sehr glücklicher und sehr stolzer Mann. Zu Recht!

23:09 Uhr
Kroos jetzt. Lächelt sphärisch. Wie einer, der seit Wochen nicht mehr gepennt hat. »Wir hatten Möglichkeiten«, murmelt er. Ein Konjunktivspieler, dieser Kroos. Könnte ein Großer sein.

23:13 Uhr
Scholl verzeiht Löw: »Wenn der Bundestrainer seine Entscheidungen begründet, ist doch alles in Ordnung.« Ich verwüste jetzt das Wohnzimmer. Weil ich Bock drauf habe. Dann ist doch alles in Ordnung.

23:15
Schön an Oliver Bierhoff ist ja unter anderem, neben seinem Haar, dass er bei jeder Gelegenheit passend gekleidet ist. Zum Interview erscheint er, als zöge er in Zukunft eine Karriere als Bestatter in Betracht. Nett von Oliver Bierhoff ist unter anderem, neben seiner ganzen Schwiegersohnigkeit, dass er mit derlei Details von seinen nichtssagenden Antworten ablenkt.

23:20 Uhr
Vielleicht war der ganze Tross auch gerade beim Casting für eine Fortsetzung von »Six Feet Under«, in Deutschland auch bekannt unter dem an diesem Abend geradezu programmatischen Titel »Gestorben wird immer«. Gestorben wird vor allem alle zwei Jahre, und heute hat es anscheinend den Kollegen von der ARD erwischt, der die deutschen Fans auf dem Weg aus dem Stadion erschreckt. Ich meine, ich habe ja jetzt auch ein paar Stunden nicht mehr in den Spiegel geschaut, aber ich hoffe, ich sehe trotz Niederlage noch etwas lebendiger aus. Wenn nicht, heuere ich gleich morgen in der nächsten Gehgeisterbahn an.


Die Beziehung zwischen Beckmann und Scholl zerbricht nun vor einem Millionenpublikum. »Reinhold, das ist was ganz was anderes!« Wir blenden uns aus. 1:2 also. Und zwei gegen einen ist immer Mist. Am nächsten Morgen wacht man auf, und alles tut weh. Mag sein, dass wir das hier alles zu finster sehen, liebe Fans. (Herzlich willkommen übrigens im offiziellen 11FREUNDE-Fazit!) Aber man hat uns vier Wochen lang, ja eigentlich sechs Jahre lang mit einer nie dagewesenen PR-Kampagne zu grenzenlosem Optimismus erzogen, und jetzt macht es einfach »Plopp«, und wir sitzen wie kleine Kinder vor diesem riesigen, viel zu bunten Rummel-Ballon und schauen weinend zu, wie die Luft langsam entweicht. FFFFFFFF! Wie Löw immer macht: FFFFFFFF! Wollte er uns das damit sagen? All die Jahre? Dann tut es uns sehr, sehr leid. Absolut leid. Positiv leid. Und wir mach im Chor: FFFFFFF. So ist FFFFFFFußball. Gute Nacht, liebe FFFFFFFans. Möge es wieder Tag werden.

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